Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung zur Bedeutung der Arbeit stehen bei den meisten Menschen Liebe und Partnerschaft an erster Stelle. Gleich danach folgt die Arbeit. Einer bezahlten Beschäftigung nachzugehen, genießt in unserer Gesellschaft einen hohen Stellenwert: Wer arbeitet, erlebt sich als Leistungsträger. Der Job sichert den Lebensunterhalt, ermöglicht gesellschaftliche Teilhabe und strukturiert den Alltag.
Allerdings nehmen Ehrgeiz und Aufstiegswillen manchmal überhand. Wenn außer dem Job im Leben nichts mehr zählt, kann Arbeit krankmachen. Wie Sie erkennen, ob Sie selbst unter Arbeitssucht leiden und wie Sie damit umgehen können, erfahren Sie hier.
Der Diplom-Psychologe und Managementberater Stefan Poppelreuter promovierte zum Thema „Arbeitssucht“. Er schätzt, dass es eine halbe Million Arbeitssüchtige in Deutschland gibt. Arbeitssucht ist zwar keine anerkannte Krankheit. Trotzdem erfüllt unkontrolliertes Arbeiten alle Kriterien einer Sucht. Poppelreuter unterscheidet zwischen „pathologischen Vielarbeitern“ und „gesunden Vielarbeitern“.
Was ist ein Workaholic?
Ein Workaholic ist ein pathologischer Vielarbeiter. Angetrieben von äußeren oder inneren Zwängen arbeitet er nicht nur acht Stunden am Tag, sondern eher 12 Stunden – oder noch mehr. Feierabend oder freie Wochenenden gibt es nicht. Bei einem Workaholic dreht sich das gesamte Leben um den Job.
Dabei bleiben Liebesbeziehungen, Familie und Freundschaften auf der Strecke. Arbeitssüchtige erkennen das Problem häufig nicht. Sie empfinden sich als ehrgeizig, karriereorientiert und motiviert. Für den beruflichen Aufstieg geben sie alles. Positives Feedback und Erfolgserlebnisse von Vorgesetzen spornen sie zu Höchstleistungen an.
Häufig rechtfertigen Betroffene ihre Arbeitssucht mit finanziellem Druck: Sie behaupten, der Karriere nur zum Wohle ihrer Familie den Vorzug zu geben. Dabei ist die Arbeit für sie längst zu einem Suchtmittel geworden.
Woran erkennt man einen Workaholic?
Keine Angst: Nicht jeder Mensch, der seinen Job liebt und gern arbeitet, ist automatisch arbeitssüchtig. Menschen streben nach Selbstverwirklichung. Es gibt durchaus gesunde Vielarbeiter. Karriereorientierte Menschen arbeiten sehr viel. Sie finden Erfüllung in dem, was sie tun. Trotzdem gelingt es den meisten, neben ihrem Beruf ein aktives Sozialleben, Partnerschaften und Hobbys zu pflegen. Das kann ein Workaholic nicht. Er ist süchtig nach Arbeit wie andere nach Nikotin oder Alkohol.
Bei pathologischen Vielarbeitern zeigen sich die typischen Merkmale einer Sucht:
1. Intensives Verlangen
Die Arbeit bildet den Lebensmittelpunkt. Gedanken und Gespräche kreisen ausschließlich um den Job. Freie Tage gönnen sich Arbeitssüchtige so gut wie nie. Selbst an Wochenenden, nach Feierabend und im Urlaub kontrollieren Workaholics ihr E-Mail-Postfach, rufen Vorgesetzte über das Diensthandy an oder kümmern sich um Kundenwünsche. Das erledigen Betroffene möglicherweise sogar heimlich, um Konflikte mit der Familie oder in der Partnerschaft zu vermeiden.
2. Steigerung der Dosis
Bei einer Sucht steigt die Toleranzgrenze. Betroffene brauchen immer mehr von dem jeweiligen Suchtmittel, um den ersehnten Kick zu erleben. Arbeitssüchtige decken sich mit Aufgaben ein, um ihre eigene Leistungsgrenze immer weiter auszudehnen. Nur durch Leistung fühlen sie sich zufrieden. Sie überschreiten ihre persönlichen Grenzen: Entweder sie übernehmen zu viele Aufgaben. Oder sie setzen sich unter Zeitdruck und zwingen sich, anstehende Pflichten noch schneller zu erledigen. Über kurz oder lang führt das zu Überforderung im Job.
3. Verlust der Kontrolle
Ohne Arbeit fühlen sich Workaholics wertlos. Sie ziehen ihr gesamtes Selbstwertgefühl aus ihrer Leistung. Darum ist es für sie unmöglich, einen Tag ohne Arbeit zurechtzukommen. Arbeitssüchtige streben danach, sich als selbstwirksam und produktiv zu erleben. Sie widmen sich ihrer Arbeit, verlieren die Kontrolle und damit die Trennung von Arbeit und Privatleben. Eine Work-Life-Balance existiert für sie nicht. Der Job ist ihr Leben.
4. Verlust von sozialen Kontakten
Betroffene stellen die Arbeit vor ihr Privatleben. Kritik oder Versuche, über das Arbeitspensum zu diskutieren, lösen Verärgerung und Ablehnung aus. Sie verstehen nicht, warum ihre Ehepartner oder Angehörigen aus ihrer Arbeitsmotivation ein Problem machen.
Gleichzeitig vernachlässigen Arbeitssüchtige ihre Beziehungen. Sie ziehen sich vor anderen Menschen zurück. Freundschaftliche Kontakte pflegen sie nicht mehr. Geburtstage und andere familiäre Feierlichkeiten geraten in Vergessenheit.
5. Entzugserscheinungen
Arbeitssüchtige reißen die Arbeit an sich. Sie ertragen den Gedanken nicht, ohne ihren Job zurechtkommen zu müssen. Um länger durchzuhalten, setzen sie möglicherweise Aufputschmittel wie Kaffee, Energy Drink und Tabletten ein.
Verlieren Workaholics die Möglichkeit, beruflich produktiv zu sein, kommt es zu Entzugserscheinungen: Nervosität, Unruhe, Herzrasen, Panikattacken, Magen-Darm-Probleme oder Herz-Kreislauf-Beschwerden und Herzinfarkte sind mögliche Folgen.
Wie wird man zum Workaholic?
Die Arbeitswelt hat sich in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert. „Heutzutage sind in vielen Unternehmen flache Hierarchien üblich“, erklärt Petra Timm, Pressesprecherin von Randstad Deutschland. „In Teams zählt Diversität. Qualifizierte Mitarbeiter übernehmen heute mehr Verantwortung, und erleben ihre Arbeit als erfüllender und sinnstiftender als früher“. Das erhöhe die Motivation und Begeisterung für den Job. Wer für seine Arbeit brennt, wird allerdings nicht zum pathologischen Workaholic.
Allerdings kommt es auch vor, dass Menschen sich für den falschen Job entscheiden. „Dann arbeiten sie sich im verzweifelten Kampf um Anerkennung um den Verstand.“ Besonders schwierig sei es, wenn sich Mitarbeiter:innen am Arbeitsplatz fremdbestimmt fühlten und strikte Vorgaben einhalten müssten, so Bolder. Das könne im schlimmsten Fall zu Arbeitssucht führen.
Der Psychiater und Psychotherapeut Manfred Lütz sieht noch ein anderes Problem: Er geht davon aus, dass hinter Arbeitssucht ein unerfülltes Privatleben steht. Konflikte in der Partnerschaft oder Schwierigkeiten in der Familie führen laut Lütz häufig zur Flucht in die Arbeit und damit in die Arbeitssucht.
Ein guter Schutz gegen Workaholismus ist demnach ein intaktes Privatleben: Wer sich zu Hause geliebt, wertgeschätzt und zufrieden fühlt, leistet gute Arbeit und verlässt seinen Arbeitsplatz am Ende des Tages trotzdem gern. Häufig stammen Arbeitssüchtige allerdings aus lieblosen Elternhäusern. Zuwendung haben Betroffene in ihrer Kindheit häufig nur erfahren, wenn sie eine besondere Leistung vorweisen konnten. Nur das machte ihre Eltern stolz. Nur dann wurden sie gelobt und geliebt.
Diese Verkettung setzt sich im Berufsleben fort: Die Leistung am Arbeitsplatz wird gelobt und dadurch positiv verstärkt. Das aktiviert das Belohnungszentrum.
Was passiert, wenn man zu viel arbeitet?
Wer bei der Arbeit kein Ende kennt, leidet früher oder später unter Stress. Zu viel Stress am Arbeitsplatz macht krank. Zu den größten Belastungen im Job zählen ständiger Zeitdruck, der Konkurrenzkampf mit Kolleg:innen, zu eng gesetzte Deadlines und der Zwang, ständig per Smartphone und E-Mail erreichbar zu sein. „Überforderung im Job führt zum Burnout“, erklärt Andreas Bolder von Randstad. „Manchmal bleibt als Ausweg nur ein Jobwechsel.“
Die Folgen von Arbeitssucht lassen sich in vier Kategorien einteilen:
- Psychische Folgen: Betroffene sind gereizt und leiden unter Ängsten, Sorgen und Depressionen.
- Körperliche Folgen: Workaholics leiden häufig unter stressbedingten Nackenverspannungen, Rücken- und Kopfschmerzen sowie Magenbeschwerden. Dazu kommen Erschöpfung, Schlafstörungen und hoher Blutdruck.
- Verhaltensänderungen: Wer unter Arbeitssucht leidet, zeigt ein starkes Bedürfnis nach Planung und Kontrolle.
- Soziale Folgen: Arbeitssüchtige vernachlässigen Partnerschaften und Freundschaften. Sie geben Hobbys und Freizeitaktivitäten auf, um sich vollständig auf die Arbeit konzentrieren zu können.
Funktioniert eine Beziehung mit einem Workaholic?
Workaholics ziehen ihr Selbstwertgefühl aus ihrer Arbeit. Sie interessieren sich wenig für die Gefühle und Gedanken anderer Menschen. Häufig flüchten sie vor partnerschaftlichen Auseinandersetzungen. Ihre Standardausrede: Für Konflikte fehle ihnen die Zeit. Das stellt Beziehungen mit Arbeitssüchtigen auf eine harte Probe.
Im Idealfall gelingt es, dem Workaholic klarzumachen, dass es ein Leben vor und nach der Arbeit gibt.
Gleich und gleich gesellt sich zwar gern. Allerdings nehmen sich zwei Workaholics vermutlich keine Zeit für eine Partnerschaft. Besser wäre es, den Motiven für die Arbeitssucht auf die Spur zu kommen und das dahinterstehende Problem zu lösen.
Selbsttest: Bin ich ein Workaholic?
Leiden Sie unter Arbeitssucht? Mit diesem Test finden Sie es heraus! Beantworten Sie die folgenden Fragen mit Ja oder Nein. Seien Sie dabei ehrlich.
Je öfter Sie mit „Ja“ geantwortet haben, desto wahrscheinlicher ist, dass Sie unter Arbeitssucht leiden.
Ich mache oft Überstunden oder springe für Kolleg:innen ein.
Am Wochenende oder nach Feierabend arbeite ich meistens weiter. Ich nehme mir Arbeit mit nach Hause.
Mir fällt es schwer, abzuschalten. Darum erledige ich lieber liegengebliebene Aufgaben als Freizeitbeschäftigungen nachzugehen.
Meine Familie und mein Freundeskreis beschweren sich oft, dass ich zu viel arbeite.
Wenn ich nicht arbeiten kann, macht mich das unruhig.
Beim Arbeiten denke ich nicht an andere Probleme.
Ich habe wenig soziale Kontakte, weil meine Arbeit den Großteil meiner Zeit beansprucht.
Einen Roman zu lesen, Musik zu hören oder Filme anzuschauen, betrachte ich als Zeitverschwendung.
Ich nehme ungern einen freien Tag. Im Urlaub lese ich trotzdem meine E-Mails und bin per Handy für meine Firma erreichbar.
In meiner Partnerschaft kommt es öfter zu Konflikten, weil die Arbeit mir wenig Zeit lässt.
Was können Betroffene tun? 5 Tipps, um der Arbeitssucht zu entgehen
Bei einer sich gerade erst entwickelnden Arbeitssucht helfen einfache Regeln, den Teufelskreis zu durchbrechen. Es ist vollkommen in Ordnung, gern und mit Leidenschaft zu arbeiten. Das Ziel ist, zu einem gesunden Umgang mit der Arbeit zurückzufinden und die Überforderung im Job zu vermeiden.
Dabei helfen diese 5 Regeln:
- Nehmen Sie sich nur im Ausnahmefall Arbeit nach Feierabend oder am Wochenende mit nach Hause. Das sollte kein Dauerzustand sein.
- Machen Sie Urlaub. Dazu gehört, dass Sie für Ihre Firma nicht erreichbar sind. Lassen Sie Ihr Diensthandy zu Hause. Rufen Sie Ihre geschäftlichen E-Mails erst bei Ihrer Rückkehr an den Arbeitsplatz ab.
- Gehen Sie regelmäßig einem Hobby nach. Zum Abschalten eignen sich sportliche und soziale Aktivitäten. Auch Entspannungsübungen, Yoga, Meditation oder Tai-Chi können hilfreich sein.
- Treffen Sie Menschen, die Ihnen wichtig sind. Verbringen Sie Zeit mit Ihrer Familie und ihren Freunden.
- Lernen Sie, „nein“ zu sagen: Sie müssen nicht immer einspringen, Kolleg:innen vertreten und rund um die Uhr erreichbar sein.
Falls sich Ihre Arbeitssucht bereits stark verfestigt hat, brauchen Sie möglicherweise professionelle Hilfe. Es gibt Psychotherapeut:innen und Psychiater:innen, die sich auf dieses Thema spezialisiert haben. Der Austausch in einer Selbsthilfegruppe unterstützt Sie dabei, dem wahren Motiv für die Arbeitssucht auf den Grund zu gehen und den Kreislauf zu durchbrechen.
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